Meinung

Putin, Carlson, Nawalny: Politiker und Medien überschreiten die Grenze zur Debilität

Der größte Teil der deutschen Medien zeigt schon seit Jahren bedenkliche Tendenzen zu absurden Gedankenspielen. Inzwischen scheint die Grenze zur Debilität überschritten. Als Belege mögen das Interview von Tucker Carlson mit Wladimir Putin und die Berichterstattung zum Tod Nawalnys dienen.
Putin, Carlson, Nawalny: Politiker und Medien überschreiten die Grenze zur DebilitätQuelle: Gettyimages.ru

Von Tom J. Wellbrock

Es ist eine Sache, sich auf den politischen Gegner zu stürzen und ihm Falschinformationen oder Propaganda vorzuwerfen. Eine andere Sache ist die Art und Weise, wie das geschieht.

Das "Propaganda-Interview"

Kaum war bekannt geworden, dass Tucker Carlson Wladimir Putin interviewen dürfe, wurde das Ergebnis von deutschen Medien bereits vorweggenommen – eine wahre Meisterleistung und womöglich der Beweis dafür, dass Zeitreisen doch möglich sind. Es war allein das Vorhaben Carlsons, das bereits Anlass für heftige Kritik an ihm als Person war. Der Antrieb für die erbosten Reaktionen kann nur damit erklärt werden, dass der Versuch als solcher, mit Putin sprechen zu wollen, bereits eine unerlaubte Handlung darstellt. Lautete das Motto früher, dass man nicht mit "Schmuddelkindern" spielen solle, so darf man heute nicht einmal mehr mit ihnen auf demselben Planeten wandeln. Das ist also sogenannte "Kontaktschuld" in ihrer übelsten Ausprägung.

Das wurde auch nach dem Interview nicht besser. Zunächst wurde auf die Ausführungen Putins zur Historie eingeschlagen. Aber nicht, weil er etwa historische Fakten weggelassen oder falsch benannt hätte. Wäre dem so gewesen, hätte man ihn ja an den entsprechenden Stellen korrigieren wollen – und können. Doch das tat niemand. Es war der historische Exkurs an sich, der die Gemüter erregte. Das ist dünn, das ist dumm. Man stelle sich vor, jemand würde behaupten, dass der Zweite Weltkrieg erst im Jahr 1947 geendet hätte. Unverzüglich würde es Beweise und geschichtliche Dokumente hageln, die diese Falschaussage entlarven würden. Doch im Falle von Putins geschichtlichen Erläuterungen für den US-Bürger geschah nichts dergleichen.

Das Interview in Gänze hätte eine ausgezeichnete Möglichkeit geboten, Putins Thesen und Behauptungen argumentativ zu entkräften, wenn man denn gewollt und die entsprechenden Gegenargumente parat gehabt hätte. Auch davon wurde kein Gebrauch gemacht. Wenn alles falsch war, was Putin sagte, warum hat sich niemand die Mühe gemacht, es richtigzustellen? Man hätte sich ja beispielsweise sogar zunächst nur auf die Zeit von 2014 bis heute beschränken können. Putin hat viel über diese jüngsten zehn Jahre gesprochen.

Und so bleibt am Ende nur die Beobachtung, dass ein umfassendes Interview mit dem Präsidenten Russlands nur beschimpft und kritisiert wurde, ohne auch nur eine einzige sachliche Grundlage angeblicher Gegenargumente zu liefern.

Die Form des Interviews

Tucker Carlson wurde im Stundentakt von verschiedensten Seiten vorgeworfen, er habe ein schlechtes Interview geführt. Angeblich sei er nicht gut vorbereitet gewesen, auch habe er wichtige Punkte – etwa das Drama von Butscha – ausgelassen. Zudem sei er zu wenig konfrontativ vorgegangen. Auf diese Weise habe er Putin eine Bühne geboten, um seine Propaganda unter die Menschen zu bringen.

Das kann man so sehen, wenn man alles darauf reduziert, einzig eine konfrontative Form von Interviews zu favorisieren. Diese Interviewführung ist zum Beispiel gut zu beobachten, wenn deutsche Journalisten AfD-Mitglieder befragen. Zielführend ist das in aller Regel nicht, denn die Konfrontation besteht meist darin, (oft sogar alte) Zitate von irgendwelchen anderen AfD-Mitgliedern auszugraben, gepaart mit der Erwartungshaltung, dazu eine Distanzierung des aktuellen Gesprächspartners zu provozieren. Das kann man so machen, wenn man versuchen will, den Interviewten bloßzustellen, inhaltlich kommt dabei aber nichts 'rüber, sieht man einmal davon ab, dass Vorurteile bestärkt und Vorverurteilungen vertieft werden können.

Ganz anders stellen sich deutsche Journalisten aber dann dar, wenn sie Regierungsvertreter oder Kriegshetzer in politischer Verantwortung interviewen. Hier machen sie gern den Bückling, liefern genehme Stichworte und lassen die Interviewten sich selbst feiern. Kritische Nachfragen? Fehlanzeige. Wenn man bedenkt, mit welcher Unverschämtheit etwa Roderich Kiesewetter (CDU) behaupten darf, man müsse "den Krieg nach Russland tragen", kann man sich nur verwundert die Augen reiben. Nach einer solchen Äußerung könnte man als Journalist auch die Nachfrage anbringen, wie denn die Forderung Kiesewetters mit dem Artikel 26 des Grundgesetzes in Einklang zu bringen ist, in dem es heißt,

"... alle friedensstörenden Handlungen, insbesondere die Führung eines Angriffskrieges, unter Strafe zu stellen."

Und damit sind wir bei der zweiten Form des Interviews, bei dem nichtkonfrontativen Interview. Ein solches hat Tucker Carlson geführt. Es folgt dem Prinzip, dem Gesprächspartner möglichst viel Spielraum einzuräumen, damit er seine Positionen umfangreich darlegen kann. Diese Methode kann zu großem Erkenntnisgewinn führen, weil die Positionen des Befragten dabei Raum bekommen. Tucker Carlson hat ein solches nichtkonfrontatives Interview geführt. Kritisch nachgefragt hat Carlson dabei durchaus, wenn auch nicht in dem Maße, mit dem Putin gerechnet hatte – und das er sich auch ein wenig gewünscht hatte, so scheint es zumindest.

Damit unterscheidet sich Carlson übrigens auch von deutschen Journalisten, wenn diese als Stichwortgeber agieren. Denn wenn der Interviewte faktisch keine unangenehmen Nachfragen befürchten muss – um beim Beispiel Kiesewetter zu bleiben –, dann ist das Interview nicht "nur" nichtkonfrontativ, sondern die Veranstaltung eines journalistischen Speichelleckers, der weiß, was von ihm erwartet wird.

Eine Ausnahme unter deutschen Journalisten bietet an dieser Stelle Markus Lanz. Wenn er "im Rudel" mit anderen Gästen versucht, den politischen Gegner zu "verhören" und bloßzustellen, dann ist das ohne Zweifel ein journalistisches Armutszeugnis. Und wenn es um das Verhören des politischen Gegners geht, geht kaum jemand so aggressiv und kritischen Journalismus mit Füßen tretend vor wie Lanz. Genaugenommen verlässt er mit diesem Stil den Bereich des Journalismus und taucht tief ein in eine menschenverachtende und Menschen verletzende Hetzjagd.

Auf der anderen Seite sollte sich auch kein Politiker der Grünen sicher fühlen, wenn er von Lanz eingeladen wird. Denn der praktiziert die Form des konfrontativen Interviews ausgesprochen gut.

Aber zurück zur Debilität deutscher Journalisten.

Der Tod von Alexej Nawalny

Hier soll nicht auf den Rassisten und Extremisten Nawalny eingegangen werden. Dies wurde von anderen Autoren in der ganzen Breite gemacht, und wer sich ein wenig mit dem Menschen und diesem "Oppositionellen" beschäftigt hat, weiß, dass er vom Hass durchtränkt war. Jede "Kakerlake", also Menschen, die von Nawalny so bezeichnet wurden, wird wissen, was gemeint ist.

Vielmehr soll die Debilität von Politikern und Medienvertretern kenntlich gemacht werden. Das beginnt bei der Behauptung, Nawalny sei ermordet worden, wahlweise auch von Putin höchstpersönlich. Unzählige deutsche Politiker und Journalisten waren sich gleich nach der Meldung über Nawalnys Tod sicher, dass es sich dabei um Mord gehandelt hat. Nicht "gehandelt haben muss", sondern "gehandelt hat", der Konjunktiv wurde gar nicht erst bemüht. Lassen wir Anachronismen wie die Unschuldsvermutung am besten gleich beiseite, denn dass die Unschuldsvermutung heute Geschichte ist, lockt keinen Hund mehr hinterm Ofen hervor. Täter oder nicht Täter zu sein, wird nach politischer Ausrichtung entschieden, und wenn erst einmal das Wort "Mörder" ausgesprochen wurde, gibt es ohnehin kein Halten mehr.

Die Debilität zeigt sich an anderer Stelle, und sie zu enttarnen, ist wahrlich keine Raketenwissenschaft. Man bedenke, dass Putin im Westen derzeit der zu Fleisch gewordene Teufel ist. Auf den russischen Präsidenten hat man sich im Westen schon vor vielen Jahren eingeschossen, aber seit dem Einmarsch in die Ukraine sind seine politischen Gegner geradezu von Sinnen.

Die Beliebtheitswerte Putins waren also nachweislich einst schon besser. Daran wird er sich heute jedoch gewöhnt haben, eine gewisse Abstumpfung ist schon als Selbstschutz ratsam. Und immer wieder die Dummheiten einer deutschen Außenministerin oder eines grünen Ausgemusterten mit fettigem Haar zu hören, dürfte dazu führen, sich eine gewisse Ignoranz anzueignen.

In diesem Kontext stellt sich die Frage, warum sich Putin für die Ermordung Nawalnys entscheiden sollte. Es ist klar, dass er sich dadurch lediglich weitere Feinde im Westen schafft, die geifernd nur auf solch einen Moment gewartet haben. Und so kam es ja auch prompt. Was mag also Putin vor dieser vermeintlichen Tat gedacht haben?

"Die im Westen mögen mich zwar nicht, aber irgendwie reicht mir das nicht. Um die Beziehungen weiter zu schädigen und aus mir eine große Angriffsfläche zu machen, auf die man zielen kann, muss ich etwas tun. Nur was?"

Der russische Präsident denkt einen Moment nach und sagt dann:

"Jetzt hab' ich es! Ich lasse einfach den Nawalny umbringen. Die 'Freude' des Westens dürfte mir sicher sein!"

Klingt das ein bisschen blöd, dumm, debil? Das ist es, und diese Erkenntnis ist ziemlich naheliegend. Doch selbst wenn man diesem albernen Gedankengerüst folgen will, stellt sich sogleich die nächste Frage: Warum sollte man in Russland einen Mann umbringen, der im Land faktisch keine Bedeutung hatte. Die meisten Russen kannten Nawalny zwar, doch zu behaupten, er hätte eine große Anhängerschaft gehabt, grenzt an Wahnsinn, denn das Gegenteil war und ist der Fall.

Es ist ebenso wie beim Interview von Tucker Carlson: Man hat inhaltlich nichts zu bieten, hat nichts in den Händen, das zum Widerlegen von Putins Argumenten herhalten könnte. Also ergießt man sich in hohlen Plattitüden und arbeitet sich an Allgemeinplätzen ab, die ihrerseits vor Banalität nur so triefen. Bei Nawalny konstruiert man ohne Untersuchung oder Belege eine blutrünstige Mordtat, die bei näherer Betrachtung vollkommen inkonsistent ist, vor allem aber für den weiteren Ausbau des Feindbildes funktionieren soll – und bestens funktioniert.

Alles in allem muss man festhalten, dass der Westen im Umgang mit Russland und Putin ein "schlechtes Blatt" hat, vergeblich sucht man argumentativ "das Ass im Ärmel" und am Ende wird es die Inhaltslosigkeit sein, die den Kriegstreibern das Genick bricht. Die meisten Deutschen jedenfalls schlucken die blaue Pille "Böser Putin" nicht mehr. Sie jonglieren mehr und mehr mit der roten Pille, und nicht wenige haben sich längst dafür entschieden, sie sich einzuwerfen.

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Tom J. Wellbrock ist Journalist, Sprecher, Texter, Podcaster, Moderator und Mitherausgeber des Blogs neulandrebellen.

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