Meinung

Silvio Berlusconi – ein Kapitel der italienischen Geschichte

Der einstige Ministerpräsident Silvio Berlusconi hat seinen letzten Kampf gegen den Krebs verloren. Es bleiben viele Erinnerungen an eine schillernde Persönlichkeit.
Silvio Berlusconi – ein Kapitel der italienischen GeschichteQuelle: www.globallookpress.com © Alessandro Bremec/LaPresse/Keystone Press Agency

Ein Nachruf von Dr. Karin Kneissl

Vor einigen Tagen strahlte er noch zuversichtlich vom Krankenbett in die Kamera. Wochen auf der Intensivstation schienen spurlos an ihm vorbeigegangen. Das Make-up saß, und der alte Kämpfer wollte gar wieder auf die politische Bühne zurückkehren. Mit seinem steten breiten Lächeln und jovialen Art verkörperte Silvio Berlusconi wie kaum ein anderer italienischer Politiker ein Dolce-vita-Gefühl. Und das war ansteckend. Wie immer man zu ihm ideologisch stand – und am Ende spielten politische Ideen in seiner Forza Italia kaum eine Rolle –, seinem burschikosen Charme konnte man sich nur schwer entziehen.

Berlusconi und die Avantgarde

Als Berlusconi die Forza Italia im Jahr 1993 als neues politisches Sammelbecken für Wähler rechts der Mitte vorstellte, waren noch die Auslöser der vielen politischen Beben rund um die Skandale der alten staatstragenden Partei Democrazia Cristiana spürbar. Giulio Andreotti hatte in Dutzenden Regierungen über "seine" Partei Italien fest im Griff. Am Ende zerbrach dieses Machtgefüge an Skandalen, zu denen auch politische Morde und Anschläge gehörten. Das organisierte Verbrechen war spätestens ab 1945 von Süditalien immer stärker nach Norden gewandert. War Andreotti eine Art graue Eminenz gewesen, die überall mitgemischt und die Strippen gezogen hatte, so war Berlusconi vom Naturell und von seiner Politik her das genaue Gegenteil.

Berlusconi erschient wie ein frischer Wirbelwind im verstaubten Rom, der sich sein politisches Programm frei von alter ideologischer Fracht zusammenzimmerte. Es wurde bunter, unvorhersehbarer und wohl auch unpolitischer. Das Bild, die "Message" und der Mensch Berlusconi standen fortan im Vordergrund. Jahrzehnte später sollte Emmanuel Macron mit der nach seinen Namensinitialen EM – En Marche (Unterwegs) – benannten Bewegung das alte Parteiensystem in Frankreich zerschlagen. Doch Berlusconi war ein italienisches Original in jeder Hinsicht, er handelte oft aus dem Bauch heraus und blieb auch in vielfacher Hinsicht der Verkäufer seiner Jugendzeit. Man kann schmunzeln, wie sehr noch der Staubsaugervertreter und der Schlagersänger in ihm als längst dienendem Ministerpräsidenten steckte. Denn mit diesen Jobs hatte er sein Geld während des Studiums der Rechtswissenschaften verdient.

Doch im Gegensatz zu den konturlosen PR-Produkten, die derzeit die Geschicke in Paris und London lenken, hatte Berlusconi Ecken und Kanten. Er war oft genug das "enfant terrible" in den EU-Gremien, aber er war auch konsequent und verlor sich nicht in den Worthülsen von Kommunikationsagenturen. Berlusconi war vielleicht der erste seiner Art, der sich im von politischer Korruption zersetzten Italien der 1990er-Jahre als Parteiführer neu erfand. Im Rückblick würde ich sagen, Berlusconi stand am Beginn einer neuen Generation von Regierungschefs und Parteiführern, für die das Spektakel mehr zählte als politische Grundsatzideen. Und Berlusconi tat dies mit aller Wucht und war eine besondere Mischung aus "politischem Tier" mit ausgeprägten Instinkten für das Machbare und aus einer wirtschaftlichen Unabhängigkeit, die ihm so schnell keiner nachmachte. Das weit verzweigte Konglomerat seiner Firmen hatte er in der Holding Fininvest in Mailand gebündelt. Prozesse um Unvereinbarkeiten, Bestechung sowie später rund um seine Partys auf Sardinien musste er viele führen. Aber einschüchtern ließ er sich nie.

Im Visier der Journalisten

Berlusconi war ein Original, ein Lebemann, fast wie ein italienischer Renaissance-Fürst, der an seinem Hof das Panoptikum an Geschäftsleuten, Schönheiten und Sportstars sowie Beratern versammelte. Viermal war der Selfmade-Unternehmer und Medienmogul, wie ihn viele nannten, Ministerpräsident Italiens. Der Tausendsassa, der zwischen der Fußballmannschaft AC Mailand aus seiner Heimatstadt und seinen vielen Eskapaden wohl nichts im Leben ausließ, ließ niemanden kalt. Die einen liebten ihn, die anderen hassten ihn. Mit seinem Tod geht ein italienisches Kapitel zu Ende.

Beim Überfliegen der Artikel zu seiner Person überwiegt im deutschsprachigen Raum das Negative. Der umtriebige und finanziell so unabhängige Unternehmer alias Parteichef war vielen Redaktionen ein Dorn im Auge. In Windeseile baute er sich eigenes Medienimperium auf, dem viele TV-Stationen und wesentliche Verlage angehörten. So wurde der Vorwurf laut, dass er sich positive Berichterstattung erkaufte. Doch in "seinen" Redaktionen herrschte wohl mehr Meinungsfreiheit als in den meisten öffentlich-rechtlichen TV-Sendern im deutschsprachigen Raum in unseren Tagen.

So manche seiner Aussagen ist legendär. Zweifellos war der alte Cavaliere (Ritter), so einer seiner Beinamen, sehr direkt, als er im Europaparlament im Juli 2003 zu Beginn der italienischen EU-Präsidentschaft auf die Attacken des damaligen SPD-Politiker Martin Schulz meinte: "Herr Schulz, ich kenne einen Mann in Italien, der einen Film über die Nazi Konzentrationslager produziert. Ich möchte Sie als Gruppenführer vorschlagen, Sie sind perfekt dafür geeignet." Berlusconi sorgte damals wie auch mit seinen notorischen Tiraden gegen die "linke" Justiz in Italien für heftige Empörung. Manchmal schien es fast, als würde er mit einem spielerischen Antrieb diese Empörungstaste in den EU-Zirkeln und in der Presse drücken, um dann zu sehen, wie alle wieder im Kreis hüpften und sich über ihn erregten.

Angesichts der Entwicklungen im Europäischen Parlament, wo die politische Welt nur mehr in Schwarz und Weiß gesehen wird, wo der Rest der Welt belehrt wird, der ungarische EU-Vorsitz für 2024 aufgekündigt wird, war diese Analogie zweifellos heftig, aber doch auch bezeichnend.

Der Unternehmer als Politiker

Als begabter Aufsteiger erfand er sich auch nach Rückschlägen immer wieder aufs Neue. Dafür liebten und bewunderten ihn seine Anhänger. Und er ging stets als Macher an die Sache heran. Die italienische Bürokratie, die Diplomaten und die Academia verzweifelten an ihm. Viele verließen aus Protest ihre Posten. Sogar der ebenso ewige Schlagerstar Adriano Celentano komponierte Protestlieder.

Berlusconi ließ dies alles herzlich kalt. Wenn es um große Geschäfte ging, dann legte er selbst an. Der italienische Energiekonzern Eni, der aus der Erdölfirma Agip hervorgegangen war, wurde zum erfolgreichen Investor in politischen schwierigen Regionen, wie Iran, Kasachstan oder in Ägypten. Berlusconi verband mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin eine Freundschaft, die zusätzlich zu all den wirtschaftlichen Konvergenzen zwischen Rom und Moskau auch für das Pipeline-Projekt SouthStream ins Gewicht fiel. Die EU-Kommission verhinderte im Frühjahr 2014 im Windschatten der Krimkrise dieses wichtige Infrastrukturprojekt, für das Eni und Gazprom verantwortlich zeichneten.

Berlusconi distanzierte sich nicht von Russland und Putin nach dem 24.Februar 2022, als infolge des Konflikts in der Ukraine viele andere ehemalige und noch aktive europäische Staats- und Regierungschefs ihre Verurteilungen auf Russland nur so niederhageln ließen.

Als Putin in Reaktion auf die Nachricht vom Tode Berlusconis sagte, dass er einen lieben Menschen und Freund verloren habe, so stimmt dies. Die beiden Männer verband etwas, das im sonst so kurzlebigen politischen Geschäft zunehmend verschwunden ist: das Vertrauen.

Berlusconi wird nicht mehr für Schlagzeilen sorgen, er wird nicht mehr Italiener auf der Straße umarmen, ob für das Maximieren von Wählerstimmen oder weil ihm nach Umarmung war. Er wird aber weiterhin auf sämtlichen Konterfeis sein "bella Italia", in dem es oft nach Bankrott aussah, anlächeln. Ich glaube, viele seiner Landsleute werden ihn mit etwas Wehmut vermissen. Denn Berlusconi war ein Italiener mit jeder Faser seines Seins, im Guten wie im weniger Guten.

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