Meinung

Die NATO und die Wiederholung der Geschichte

Sie passieren öfter, die eigenartigen Bezüge auf die Geschichte, bei denen man sich fragen muss, was denn nun genau gemeint ist, und die immer zumindest die Möglichkeit beinhalten, dass sich jemand in der Nachfolge Nazi-Deutschlands sieht. Zuletzt lieferte wieder einmal Jens Stoltenberg.
Die NATO und die Wiederholung der GeschichteQuelle: www.globallookpress.com © Sebastian Gollnow

Von Dagmar Henn

Ja, er hat es inzwischen mindestens dreimal gesagt, der NATO-Generalsekretär Jens Stoltenberg. Das erste Mal im Februar dieses Jahres. "Wir wissen nicht, wann dieser Krieg endet. Aber wir müssen sicherstellen, dass sich danach die Geschichte nicht wiederholt." Das zweite Mal im April, diesmal sogar von der Tagesschau zitiert: "Man müsse den 'Kreislauf der russischen Aggression durchbrechen' und dafür sorgen, 'dass sich die Geschichte nicht wiederholt'". Und ein drittes Mal gerade eben erst, in einem Gespräch mit seinem Vorgänger Fogh Rasmussen: "Wir wissen nicht, wie dieser Krieg enden wird, aber wir wissen, dass es, wenn er endet, extrem wichtig ist, dass wir verhindern können, dass sich die Geschichte wiederholt."

Das ist wie mit der Bundeswehrwerbung mit dem Blick auf einen Panzerturm, in der eine Britta F., angeblich Stabsgefreite der Panzertruppen, mit dem Satz zitiert wird: "Was zählt, wenn wir wieder Stärke zeigen müssen?" Wo doch für das "wieder" nur ein einziges Modell übrig bleibt, weil die Waffengattung Panzer schlicht erst gegen Ende des Ersten Weltkriegs aufkam und erst im Zweiten wirklich bedeutend wurde. Stärke wie Guderian also?

Dreimal, das ist kein Versehen, das ist ein wohlüberlegtes Kernstück eines propagandistischen Schemas. "Wir wollen nicht, dass sich die Geschichte wiederholt". Für eine Bewegung aus Russland Richtung Westen gibt es zwei historische Beispiele, den Krieg gegen Napoleon und den Zweiten Weltkrieg, beide in Russland mit der Bezeichnung "Vaterländischer Krieg" versehen, weil es in beiden Fällen eine erweiterte Verteidigung war, die in beiden Fällen in der Hauptstadt des Angreifers mit dessen Niederlage endete.

Welche Wiederholung fürchtet Stoltenberg also? Einen Einmarsch der russischen Armee in Washington? Einen erneuten Marsch auf Berlin (was der Guderian-Imitation vermutlich entgegenkäme)? Treibt ihn Sehnsucht nach der Quisling-Regierung in seinem Heimatland Norwegen, eine Regierung, die Nazi-Deutschland gegenüber derartig unterwürfig war, dass Quisling zum Synonym für Kollaborateur wurde?

Allzu viele Ereignisse, die sich wiederholen könnten, sind nicht im Angebot, und Stoltenberg tut nichts, um die Überlegungen in eine andere Richtung zu lenken. "Kreislauf der russischen Aggression" – der verläuft historisch immer identisch: Irgendein Staat des Westens fühlt sich berufen, gen Osten zu marschieren und Russland zu erobern, bekommt eins auf die Mütze und hat zum Abschied russische Truppen zu Hause. Die einfachste, naheliegendste Methode, eine Wiederholung der Geschichte zu verhindern, bestünde also darin, nicht einmal so zu tun, als wolle der Westen, einzeln oder kollektiv, gen Russland marschieren. Aber das kann Stoltenberg nicht meinen, sonst müsste er nicht nur eine NATO-Mitgliedschaft der Ukraine empört ablehnen, sondern selbst die Aufnahme Finnlands, weil Petersburg nicht weit von der finnischen Grenze liegt.

Nein, was Stoltenberg meint, ist nur der Teil, in dem die ursprüngliche Aggression abgewehrt wird. Er fantasiert, der NATO könne unter Gebrauch der Ukraine das gelingen, was Napoleon wie Hitler vergeblich versucht haben; er will nur, dass der Angriff, der ihm am Herzen liegt, erfolgreich und straffrei bleibt, im Gegensatz zu seinen beiden Vorgängern. Das ist die einzige Gestalt, die dieser Wunsch annehmen kann, und Stoltenberg steht dabei in einer eindeutigen Nachfolge. Was auch irgendwie Sinn macht, wenn man die Aufnahmen der in Marsch gesetzten Truppen betrachtet, die eiserne Kreuze auf ihre Panzer malen und ihre rechten Arme gerade vor sich recken, und auch Britta Guderian käme zum Zuge.

Erstaunlich ist weniger, was Stoltenberg so denkt, erstaunlich ist, dass er diese Aussage mehrfach tätigt und niemand ihn fragt, welche Geschichte sich nicht wiederholen soll. Man sollte annehmen, dass noch mehr Leser dieser Aussage darüber stolpern, wie über das "wieder" in der Bundeswehr-Anzeige. Aber wahrscheinlich hängt für die Kollegen des Mainstreams vor jedem Verweis auf den Zweiten Weltkrieg das Schild "russische Propaganda", sodass, selbst wenn der NATO-Generalsekretär diese Verbindung herstellt, schlicht so getan wird, als verstünde man nicht, was mit dieser Aussage gemeint ist. Nicht an der Oberfläche kratzen ist besser, denn was sonst zum Vorschein kommt, ist hässlich.

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