Meinung

Auf dem Weg in die Scheindemokratie? Das Demoverbot von Berlin

Das Demoverbot zeigt, wie weit die Entwicklung Deutschlands zur Scheindemokratie bereits gediehen ist. Trickserei mit Corona-Zahlen, doppelte Standards bei Demogenehmigungen und manipulative Sprache sowie Gesinnungsprüfungen sind mittlerweile Usus.
Auf dem Weg in die Scheindemokratie? Das Demoverbot von BerlinQuelle: Reuters © Fabrizio Bensch

von Falko Looff

Es ist jetzt schon so viele Jahrzehnte her. Die Jüngeren werden sich nicht erinnern. Doch damals in der alten (westdeutschen) Bundesrepublik gab es einmal eine Zeit, da fand man in der Politik noch richtige Menschen. Kantige Typen, Haudegen, Charaktere. Nicht so weichgespülte Karrieristen mit Facebook-Profil, die mehr darauf bedacht sind, dass das eigene Image keinen Schaden nimmt. Die von damals, ja, die konnte man mögen oder nicht. Aber die droschen keine Phrasen, sondern hatten wirklich was zu sagen, wenn sie sprachen.

Natürlich waren auch damals nicht alle so. Und natürlich hatte auch diese Zeit ihre eigenen Umstände und Herausforderungen. Aber es gab sie eben, diese Typen mit Format. Einer von ihnen war Herbert Wehner. Er, Sozialdemokrat, gehörte derselben Partei an wie heute Berlins Innensenator Andreas Geisel, der gerade eine große Demonstration verbieten ließ.

In einer heftig geführten Bundestagsdebatte, in der es um den RAF-Terrorismus ging, äußerte der damalige Fraktionsvorsitzende der CDU/CSU Helmut Kohl in Richtung der SPD: "Ihre Republik ist nicht unsere." Für die Sozialdemokraten klang diese Aussage so, als habe Kohl ihnen damit die Legitimität absprechen wollen, sich als Bürger der Republik für die eigenen Belange einzusetzen. Mehr noch: so, als wolle Kohl ihnen die Zugehörigkeit zu dessen "richtigen, CDU/CSU-geprägten" Republik absprechen.

Da kamen bei den Sozialdemokraten sicher Erinnerungen aus der – damals noch jüngeren – Vergangenheit hoch. Im Gegensatz zu vielen "Naziaufspürern" von heute hatte die damalige Generation diese Zeit erlebt und wusste, was Faschismus in der Praxis bedeutete. Und Kohl, selbst Kind dieser Zeit, verstand dies offenbar und relativierte seine Aussage noch in der gleichen Debatte. Wehner wiederum, Fraktionsvorsitzender der SPD, akzeptierte dies, mahnte aber an: "Denn sonst gibt es, Herr Kohl, keine Republik!"

Ob Geisel von dieser Begebenheit weiß? Ob er versteht, was seine Genossen damals bewegte? Und warum Wehner recht hatte mit seiner Entgegnung? Und vor allem: Weiß der Innensenator, welche Folgen die eigene Entscheidung für die Republik von heute haben könnte?

Formell war es zwar die Versammlungsbehörde, die die für Samstag angekündigte Demonstration nun verbot. Doch politisch zeichnet Geisel dafür verantwortlich. In der Pressemitteilung wird dieser so zitiert:

Das ist keine Entscheidung gegen die Versammlungsfreiheit, sondern eine Entscheidung für den Infektionsschutz. Wir sind noch mitten in der Pandemie mit steigenden Infektionszahlen. Das kann man nicht leugnen. Wir müssen deshalb zwischen dem Grundrecht der Versammlungsfreiheit und dem der Unversehrtheit des Lebens abwägen. Wir haben uns für das Leben entschieden.

"Für das Leben entschieden" – sehr pathetisch. Darunter ging es wohl nicht. Natürlich nicht, und das scheint Geisel klar zu sein. Dafür ist nämlich die tatsächliche Corona-Lage nicht ansatzweise bedrohlich genug. Also bauscht man eben auf, damit die Sache bedeutsam wird. Das ist keine Verschwörungstheorie, sondern der logische Schluss aus den Zahlen: Es gibt nur sehr wenige Tote. Die Intensivbetten stehen leer. Die "steigenden Infektionszahlen" – ohnehin auf eher niedrigem Niveau – korrelieren in beinahe gleichem Verhältnis mit den Testungen. Kennt eigentlich irgendjemand persönlich einen an COVID-19 Erkrankten? Oder kennt irgendjemand jemanden, der einen kennt?

Die "Nichteinhaltung der Hygieneregeln" soll nun als weitere Begründung für das Demoverbot herhalten. Doch die Analyse und Auswertung der Zahlen des RKI belegt, dass die Demonstration am 1.8. keinerlei negative Auswirkungen – nicht einmal geringe – auf das Infektionsgeschehen hatten.

Geisel selbst und der Senat hinter ihm sind es, die etwas leugnen, wenn sie all diese Zahlen und die sich daraus ergebenden Zusammenhänge ignorieren. Sie sind die eigentlichen Verschwörungstheoretiker, denn sie "spielen" mit den Zahlen, indem sie nur ausgewählte präsentieren, diese dann realitätsfern gewichten und daraus Zusammenhänge konstruieren, die sich so eigentlich gar nicht ableiten lassen. Der Bürger wird verrückt gemacht. Geisel führt weiter aus:

Ich bin nicht bereit, ein zweites Mal hinzunehmen, dass Berlin als Bühne für Corona-Leugner, Reichsbürger und Rechtsextremisten missbraucht wird. Ich erwarte eine klare Abgrenzung aller Demokratinnen und Demokraten gegenüber denjenigen, die unter dem Deckmantel der Versammlungs- und Meinungsfreiheit unser System verächtlich machen.

Das klingt gerade so, als habe sich Geisel von der ersten Demonstration persönlich beleidigt gefühlt. Das wolle er nun nicht "ein zweites Mal hinnehmen". Natürlich darf auch hier der Vorwurf des Rechtsextremismus nicht fehlen. Jeder soll wissen, dass diese Demonstration nun einmal nicht statthaft sei, und sich "klar" davon "abgrenzen". Diejenigen, die das nicht tun, sind dann im Umkehrschluss nämlich keine "Demokratinnen und Demokraten". Das ist manipulative Sprache. Und es wird – wie gewohnt – mit zweierlei Maß gemessen. Andere Demos durften und dürfen stattfinden.

Die Organisatoren sprechen bezugnehmend auf den Rechtsextremismusvorwurf von einem "unvollständigen Informationsbild" des Innensenators. Zudem ignoriere er die Einschätzung des Verfassungsschutzes. Dieser hatte nämlich der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung mitgeteilt, dass an der Corona-Demonstration am 1.8. nur "einzelne Angehörige" aus dem rechtsextremen Spektrum teilgenommen haben. Vor der Veranstaltung sei zwar durch verschiedene Personen und Organisationen aus diesem Spektrum mobilisiert worden. Aber:

Ein prägender Einfluss auf den Demonstrationszug oder die Gesamtkundgebung ging von diesen nicht aus. Insofern resultierte aus der Kundgebung für die traditionelle rechtsextremistische Szene keine nennenswerte Anschlussfähigkeit an demokratische Kundgebungsteilnehmer.

Man stelle sich nur einmal vor, Verlautbarungen wie die von Innensenator Geisel kämen aus Russland. Oder Kuba. Oder Venezuela. Da wäre doch hierzulande alles, was Rang und Namen hat, sofort zur Stelle, um eindringlich und ermahnend Kritik zu üben. Wir erleben ja gerade in Weißrussland, wie der Westen sich in Position bringt.

Es wäre in diesem Zusammenhang durchaus interessant zu erfahren, wie Geisel dazu steht, dass auf den dortigen regierungskritischen Demonstrationen nicht viel Wert auf "Hygieneregeln" gelegt wird. Vielleicht sollten die Demo-Organisatoren einmal darüber nachdenken, das Ganze von Berlin nach Minsk zu verlegen. Dann gäbe es sicher umgehend Unterstützung nicht nur vom Senat, sondern auch von der Bundesregierung bis hoch zur EU-Kommission.

Leider ist die Angelegenheit zu ernst für Spaß. Es sei erneut an Herbert Wehner erinnert. Von ihm ist ebenso dieses Zitat überliefert:

Zur Demokratie gehört auch die Fähigkeit, andere mit sich und neben sich leben zu lassen, nicht als Untergeordnete, sondern als im Wettbewerb Nebeneinanderstehende. Sonst ist das keine Demokratie, sondern eine Scheindemokratie.

Es wird sich noch zeigen, inwieweit wir bereits jetzt in einer Scheindemokratie leben, in der mit von Mainstream-Medien gut vorsortierten Informationen, dem Mundtotmachen Andersdenkender, irreführenden Zahlenspielen und manipulativer Sprache am Ende nur noch eine "Wahrheit" zugelassen wird.

Selbst namhafte Linken-Politiker – einst DIE Protest-Partei des Ostens – schwenkten mittlerweile gänzlich ohne Zwischentöne auf den Regierungskurs ein.

Von den im Bundestag vertretenen Parteien scheint sich aktuell allein die AfD gegen eine solche Entwicklung zu stemmen, wenngleich die Bewertung der Corona-Maßnahmen der Regierung innerhalb der Partei nicht einheitlich ausfällt. Immerhin sprach sich der Berliner AfD-Landesverband klar gegen das Demoverbot aus und rief zu einer Unterstützungsdemo auf. Auf deren Homepage ist unter anderem zu lesen:

Dieses Verbot zeigt, wie der Senat auf den Grundrechten herumtrampelt. Er verbietet sogar Demonstrationen zugunsten der Grundrechte, nachdem zeitweise auch das Zeigen des Grundgesetzes von der Polizei geahndet wurde. (...) Mit Blick auf fehlenden Mundschutz und Sicherheitsabstand während der Black-Lives-Matter-Demo hatte ein Sprecher von Innensenator Andreas Geisel im Juni übrigens erklärt: Es ist nicht Aufgabe des Staates, den Demonstrierenden vorzuschreiben, wie sie zu demonstrieren haben.

Innensenator Geisel leistete – was immer auch seine persönlichen Absichten gewesen sein mögen – der Entwicklung in Richtung Scheindemokratie Vorschub. Aber es dürfte auch die Zahl derjenigen weiter wachsen, die sich längst abgewendet haben und sich das nicht gefallen lassen werden.

Ob es juristisch haltbar ist, eine angemeldete Demonstration drei Tage vorher zu verbieten, wird sich noch zeigen. Politisch statthaft, Andersdenkende zu diffamieren und ihnen unter – nach allem, was man wissen kann – nicht haltbaren Vorwänden ein Grundrecht zu versagen, von dem sie zuvor vollends friedlich Gebrauch machten, ist es in einer Republik ganz sicher nicht. Denn sonst gibt es, Herr Geisel, keine Republik!

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