Meinung

Ukrainische und US-Offizielle befürchten, dass 100 Milliarden Dollar nicht ausreichen werden

Der ukrainische Verteidigungsminister Alexei Resnikow und der ukrainische Botschafter im Vereinigten Königreich, Wadim Prystajko, versuchen beide, die NATO dazu zu drängen, mehr Waffen zu schicken, indem sie den Status der Ukraine als Stellvertreter der Allianz im Kampf gegen Russland darstellen.
Ukrainische und US-Offizielle befürchten, dass 100 Milliarden Dollar nicht ausreichen werden

Ein Kommentar von Andrew Korybko

Die Reise von Wladimir Selenskij nach Washington im vergangenen Monat war letzten Endes nicht jener Erfolg, den die Mainstream-Medien des Westens herbeischrieben. Dies beweist die Panik, die seither ukrainische und ehemalige US-Offizielle erfasst hat. Im Zuge dessen wurde eine Offensive im Informationskrieg lanciert, in der behauptet wird, dass die rund 100 Milliarden US-Dollar an amerikanischer Hilfe, die Kiew bisher erhalten hat, angeblich nicht ausreichen werden, um Russland vollständig hinter die Grenzen dieser ehemaligen Sowjetrepublik zurückzudrängen, geschweige denn sich gegen eine bevorstehende Offensive zu verteidigen.

Der ukrainische Verteidigungsminister Alexei Resnikow sagte vergangene Woche im staatlichen Fernsehen, dass "die Ukraine sich der Bedrohung durch Russland stellt. Wir führen derzeit die Mission der NATO aus, ohne dass die NATO eigenes Blut vergießen muss. Wir vergießen unser Blut, also erwarten wir, dass sie uns Waffen liefern". Daraufhin folgte der ukrainische Botschafter in Großbritannien, Wadim Prystajko, der sich gegenüber dem amerikanischen Nachrichtenmagazin Newsweek ähnlich äußerte.

Ihm zufolge "hat der Westen jetzt eine einzigartige Chance. Es gibt nicht viele Nationen auf der Welt, die sich erlauben würden, so viele Leben, Gebiete und Jahrzehnte der Entwicklung zu opfern, um den Erzfeind zu besiegen. Damit meine ich: Alle Mann an Deck, alles, was entbehrt werden kann, um der Ukraine zu helfen, diesen Krieg zu gewinnen". Prystajko äußerte auch seine Besorgnis darüber, dass der Westen Kiew unter Druck setzen könnte, einem Waffenstillstand mit Russland zuzustimmen, wenn die derzeitige Pattsituation nicht bald gebrochen wird.

Robert Gates, der ehemalige Verteidigungsminister der USA, und die ehemalige US-Außenministerin Condoleezza Rice verfassten gemeinsam einen Meinungsartikel für die Washington Posthier ohne Zahlschranke veröffentlicht – mit der dramatischen Schlagzeile: "Die Zeit ist nicht auf der Seite der Ukraine". Ihr Narrativ steht völlig im Gegensatz zum "offiziellen" Narrativ, das bei den meisten im Westen am besten ankommt und in dem behauptet wird, dass Russland unweigerlich zusammenbrechen wird, je länger sich diese militärische Spezialoperation hinzieht.

Stattdessen warnten Gates und Rice, dass "ohne einen weiteren großen ukrainischen Durchbruch und Erfolg gegen die russischen Streitkräfte der westliche Druck auf die Ukraine, einen Waffenstillstand auszuhandeln, zunehmen wird, wenn Monate in einem militärischen Patt vergehen", was dazu führen würde, dass Russland "einen Großteil der ukrainischen Bodenschätze, der industriellen Kapazitäten und beträchtliche landwirtschaftliche Flächen" behalten wird, sollte die Frontlinie eingefroren werden. Dies ist ein wichtiger Punkt, der auch von Prystajko bekräftigt wurde.

Im oben erwähnten Interview mit Newsweek sagte Prystajko voraus: "Wenn wir jetzt bei irgendeiner Art von Friedensverhandlungen enden, werden die Russen versuchen, den Landraub zu sichern, der bisher erzielt wurde. Und die meisten dieser Gebiete sind ziemlich entscheidend. Zum Beispiel die Landbrücke zur Krim." Zusammengenommen erkennen Prystajko, Gates und Rice an, dass Russlands Spezialoperation – in Bezug auf die strategischen Gewinne, die Moskau entgegen den Behauptungen der Mainstream-Medien erzielen konnte – sehr erfolgreich war.

Vor diesem Hintergrund schrieben die beiden äußerst einflussreichen ehemaligen US-Offiziellen: "Der einzige Weg, ein Szenario, bei dem Russland diese Gebietsgewinne behält, zu vermeiden, besteht darin, dass die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten die Ukraine dringend mit einer dramatischen Erhöhung der Militärhilfen versorgen sowie mit militärischen Fähigkeiten ausstatten, die ausreichend sind, um eine erneute russische Offensive abzuwehren und der Ukraine zu ermöglichen, russische Streitkräfte im Osten und im Süden zurückzudrängen."

Diese drei oben beschriebenen Beiträge im Informationskrieg – jene von Resnikow und Prystajko sowie jener von Gates zusammen mit Rice – beweisen, dass in der vergangenen Woche eine neue Offensive im Wahrnehmungsmanagement gestartet wurde. Das aufkommende neue Narrativ ist, dass Kiew dringend eine dramatische Aufstockung der Militärhilfe aus dem Westen benötigt, weil dieser ansonsten dazu verdammt ist, in seinem antirussischen Stellvertreterkrieg in der Ukraine besiegt zu werden.

Der ukrainische Verteidigungsminister Aleksei Resnikow und der Botschafter im Vereinigten Königreich, Wadim Prystajko, versuchten somit, die NATO dazu zu drängen, mehr Waffen zu schicken, indem sie den Status der Ukraine als Stellvertreter der Allianz im Kampf gegen Russland darstellten, damit diese mehr Waffen liefert, in der Hoffnung, die öffentliche westliche Wahrnehmung auf ihre Seite zu ziehen. Gleichzeitig übten sich auch Gates und Rice in der Angstmacherei, dass wenn dies nicht geschehen sollte, Russland die Kontrolle über ein äußerst strategisches Gebiet überlassen werde. Alle vier hochrangigen Offiziellen haben damit frühere Narrative ins Wanken gebracht, indem sie entweder die Rolle der Ukraine als Stellvertreter der NATO zugaben und/oder den bisherigen Erfolg der russischen Spezialoperation anerkannten.

Die unermesslichen Summen, die in den vergangenen rund elf Monaten in die antirussischen Informationskampagnen investiert wurden, waren somit alle umsonst, nachdem vier gewichtige Stimmen alles diskreditiert haben, was bis zu diesem Zeitpunkt behauptet wurde. Der Grund, weshalb Resnikow, Prystajko, Gates und Rice die Begründung von Präsident Putin für die Einleitung der militärischen Sonderoperation – in Bezug auf den Status der Ukraine als Stellvertreter der NATO – rechtfertigen und Russlands bisherige Erfolge zugeben, ist ihre zunehmende Verzweiflung.

Ein Artikel in der New York Times enthüllte Ende November die Grenzen des militärisch-industriellen Komplexes der NATO, was ein weiterer unerwarteter Schlag gegen das bis dahin offizielle Narrativ der Mainstream-Medien war und die weit verbreitete russische Wahrnehmung untermauerte, dass die Zeit tatsächlich nicht auf der Seite der Ukraine steht. Wenn die NATO-Mitglieder nicht länger bereit sind, ihre militärischen Vorräte weiter unter jenes Niveau zu reduzieren, das zur Gewährleistung ihrer eigenen nationalen Sicherheitsbedürfnisse erforderlich ist, was militärisch und politisch riskant ist, könnte Kiew in Schwierigkeiten geraten.

Der Grund für diese Prognose liegt darin, dass die ukrainischen Streitkräfte eine große Menge an Munition und Waffen in hoher Kadenz verbrennen, ohne dass die Ukraine etwas davon selbst produzieren kann. Tatsächlich gaben Gates und Rice in ihrem Meinungsbeitrag offen zu, dass "die militärischen Fähigkeiten und die Wirtschaft der Ukraine jetzt fast ausschließlich von Lebensadern aus dem Westen abhängig sind – in erster Linie von den Vereinigten Staaten". Aber derselbe Westen kann nicht das Tempo und den Umfang seiner aktuellen militärischen Hilfe auf unbestimmte Zeit aufrechterhalten.

Diese politisch unbequeme Tatsache verleiht somit einem Szenario Glaubwürdigkeit, dass die oben erwähnten aktuellen und ehemaligen Spitzenbeamten ihre Äußerungen deswegen gemacht haben, um den Boden für einen Waffenstillstand mit Russland vorzubereiten, damit die von Kiew noch kontrollierten Gebiete erhalten werden können, anstatt auch diese zu verlieren, je länger sich der Konflikt hinzieht. Denn trotz der falschen Erwartungen in den westlichen Mainstream-Medien sind auf Seiten von Russland weder Munition, Waffen noch Truppen knapp geworden, und Moskau ist daher in der Lage, jederzeit eine weitere Offensive zu starten.

Ohne weitere militärische Hilfe aus dem Westen im Wert von zig Milliarden US-Dollar für Kiew besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Moskau die Front durchbrechen und/oder erfolgreich eine neue Front woanders in der Ukraine bilden könnte. Beide Ereignisse würden die Vertreter des Westens in eine viel ungünstigere Position bringen, wenn Moskau ihnen das nächste Mal eine Friedenstaube anbietet.

Die einzigen beiden Möglichkeiten, dieses Szenario realistisch abzuwenden, bestehen darin, dass der Westen entweder vor den Forderungen aus Kiew nach noch mehr militärischer Hilfe kapituliert oder Kiew unter Druck setzt, einem Waffenstillstand zuzustimmen, der den Frontverlauf einfriert, um nicht noch mehr Gebiete zu verlieren, was jedoch auf Kosten einer stillschweigenden Anerkennung von Russlands strategischen Vorteilen vor Ort geht. Beide Szenarien haben ihre jeweiligen Vor- und Nachteile. Die USA müssen sich noch entscheiden, was sie zu tun gedenken ‒ daher die jüngste Offensive im Informationskrieg, die darauf abzielt, diese Entscheidung zu beeinflussen.

Aus dem Englischen

Andrew Korybko ist ein in Moskau ansässiger amerikanischer Politologe. Er spezialisiert sich auf die US-Strategie in Afrika und Eurasien, Chinas "Neue Seidenstraßen"-Initiative, Russlands geopolitischen Balanceakt sowie hybride Kriegsführung.

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