Deutschland

Steigende Energiepreise: Jobcenter in NRW fordern Arbeitsminister Heil zum Handeln auf

Die Heiz- und Stromkosten steigen, doch Hilfen für die Ärmsten in Deutschland bleiben aus. Nordrhein-westfälische Jobcenter warnen nun den Bundesarbeitsminister vor dramatischen Folgen. Millionen Menschen könnten sich Strom und Heizung ohne Finanzhilfen bald nicht mehr leisten.
Steigende Energiepreise: Jobcenter in NRW fordern Arbeitsminister Heil zum Handeln aufQuelle: www.globallookpress.com © Fernando Gutierrez

von Susan Bonath

Unter anderem die Sanktionen gegen Russland lassen die Gas- und Ölpreise in Deutschland in die Höhe schnellen. Heizung und Strom wird zum Luxus. Doch nennenswerte soziale Hilfen für Ärmere stehen bisher nicht auf dem Programm der Bundesregierung. Während sie zwar einen winzigen Heizkosten-Zuschuss für Wohngeldbezieher plant, über den der Bundestag am 17. März abstimmen soll, gehen Menschen, die von Hartz IV leben oder damit niedrige Einkommen aufstocken, bisher leer aus. Die Landesarbeitsgemeinschaft (LAG) der Jobcenter in Nordrhein-Westfalen (NRW) fordert Maßnahmen vom Bundesarbeitsminister Hubertus Heil (SPD).

"Energiearmut in bisher nicht gekanntem Ausmaß"

In dem Brandbrief, über den der Sozialrechtsexperte Harald Thomé vom Sozialhilfeverein Tacheles am Sonntag informierte, warnen die Jobcenter in NRW vor dramatischen Folgen. Bundesweit mehr als fünf Millionen Betroffenen drohe eine Energiearmut nie dagewesenen Ausmaßes durch die enormen Preissteigerungen, deren Ende nicht absehbar ist. So schreibt die LAG:

"Nach unserer Überzeugung werden im Laufe dieses Jahres sukzessive immer mehr Leistungsbeziehende von Energiearmut in einem bisher nicht gekannten Ausmaß betroffen sein."

Bereits die Jahresendabrechnungen der Energiekonzerne für 2021 dürften Hartz-IV-Bezieher sowohl mit erheblichen Nachforderungen für die Vergangenheit, als auch höheren Abschlagzahlungen für die Zukunft konfrontieren, befürchtet die LAG.

Kommunen sollen höhere Heizkosten erstatten

Bis auf einige rein kommunale Jobcenter gilt für die meisten eine doppelte Trägerschaft. Die Bundesagentur für Arbeit (BA) ist für die Auszahlung der Regelsätze zuständig. Alleinstehende erhalten pro Monat derzeit 449 Euro, für Kleinkinder unter sechs Jahren gibt es 285 Euro. Für die anderen, nach Alter und Lebensverhältnissen gestaffelten Altersgruppen liegen die Sätze dazwischen. Zum Jahreswechsel wurden die Bezüge je nach Gruppe um zwei bis drei Euro angehoben. Die Heizkosten gehören allerdings zu den Wohnnebenkosten, deren Obergrenzen in den kommunalen Richtlinien für Kosten der Unterkunft (KdU) geregelt sind. Zuständig dafür ist also nicht die BA, sondern der zuständige Landkreis oder die jeweilige Stadt.

Wie viel Leistungsbezieher maximal erstattet bekommen, ist nicht zuletzt der Sparpolitik der oft finanziell klammen Kommunen unterworfen. In Leipzig beispielsweise darf ein Alleinlebender maximal knapp 51 Euro monatlich für Heiz- und Warmwasserkosten aufwenden. Für einen Zweipersonen-Haushalt liegt die Obergrenze bei rund 68 Euro, für eine dreiköpfige Familie bei weniger als 85 Euro. Die nordrhein-westfälischen Jobcenter mahnen daher klare Heizkosten-Vorgaben für die Kommunen an. Sie schreiben:

"Soweit hiervon Heizenergie betroffen ist, werden die Kommunen als Kostenträger (...) zum Beispiel durch Anpassung der Angemessenheitsgrenzen Maßnahmen ergreifen müssen, damit die Kostenübernahme in tatsächlich anfallender Höhe weiterhin sichergestellt ist und drohende Unterbrechungen der Energieversorgung vermieden werden."

Stromkosten-Explosion: Bund müsse Regelsatz erhöhen

Die ebenfalls betroffenen Stromkosten sind indes Bestandteil des Regelsatzes. Rund 38 Euro sieht dieser Regelsatz aktuell für eine alleinstehende Person insgesamt für "Energie und Wohninstandhaltung" vor. Hier könne nur der Bund das Problem der Bedarfsunterdeckung lösen, stellt die LAG deswegen richtig fest. Die Landesarbeitsgemeinschaft schreibt dazu:

"Der in den aktuell geltenden Regelbedarfen geltende Anteil für Strom bemisst sich nach den Energiepreisen aus der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 2018 und trägt in keiner Weise den Preisentwicklungen in der jüngsten Vergangenheit Rechnung."

Folglich werde es Betroffenen "selbst durch Vornahme von Einsparungen bei anderen Bedarfen zunehmend nicht gelingen, die höheren Stromabschläge aus dem Regelbedarf zu decken", heißt es weiter. Hartz-IV-Bezieher müssen also an anderen Grundbedürfnissen – wie Nahrung und Kleidung – immer mehr sparen, um ihre Stromkosten noch bezahlen zu können.

Jährlich Hunderttausende Stromsperren

Jährlich klemmen Stromversorger Hunderttausende dieser Haushalte vom Versorgungsnetz ab, weil sie mit den Rechnungen im Rückstand sind. Im ersten Corona-Jahr war Sachsen-Anhalt trauriger Spitzenreiter, gemessen an der Bevölkerungszahl: Allein in diesem kleinen Bundesland an der Mittelelbe mit gut zwei Millionen Einwohnern waren rund 10.700 Haushalte betroffen, wie die regionale Volksstimme im Februar berichtete.

Bundesweit klemmten die Versorger 2020 rund 230.000 Haushalte wegen Zahlungsrückständen vom Stromnetz ab. In den Jahren davor waren jeweils mehr als 300.000 Haushalte betroffen. Grund für den temporären Rückgang war allerdings lediglich eine Corona-Verordnung des Bundes: In finanzielle Not geratene Bürger durften im ersten Halbjahr 2020 die Zahlung aussetzen und ihre Stromkosten später in Raten nachzahlen. Auch einige Stromkonzerne hatten von allzu schnellen Sperrungen abgesehen.

Verweis auf Urteil aus Karlsruhe

Die NRW-Jobcenter fordern abschließend Bundesarbeitsminister Heil dazu auf, sich "kurzfristig der Problematik anzunehmen", um "eine schnelle Lösung herbeizuführen. Dazu zitieren die Autoren des Briefes aus einem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) vom Juli 2014. Darin heißt es unter Randnummer 144:

"Ergibt sich eine offensichtliche und erhebliche Diskrepanz zwischen der tatsächlichen Preisentwicklung und der bei der Fortschreibung der Regelbedarfsstufen berücksichtigten Entwicklung der Preise für regelbedarfsrelevante Güter, muss der Gesetzgeber darauf zeitnah reagieren. So muss die Entwicklung der Preise für Haushaltsstrom berücksichtigt werden."

Die Karlsruher Richter fügten hinzu, dass der Gesetzgeber "nicht auf die reguläre Fortschreibung der Regelbedarfsstufen warten" dürfe, wenn "eine existenzgefährdende Unterdeckung durch unvermittelt auftretende, extreme Preissteigerungen nicht auszuschließen" ist. Dieser Umstand, so die LAG der NRW-Jobcenter, sei bereits eingetreten. Eine Antwort von Heil und seinem Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) steht noch aus.

RT DE bemüht sich um ein breites Meinungsspektrum. Gastbeiträge und Meinungsartikel müssen nicht die Sichtweise der Redaktion widerspiegeln.

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