Nahost

Ende des Syrien-Kriegs in Sicht? – Russland vermittelt zwischen Damaskus und Ankara

Seit zwölf Jahren tobt ein Stellvertreterkrieg auf dem syrischen Staatsgebiet. Die von der Türkei unterstützten Kampfverbände sind die schärfsten Gegner von Präsident Baschar al-Assad. Die russische Vermittlung arbeitet seit Langem an einer Versöhnung von Ankara und Damaskus. Was bedeutet dies für die Syrer, aber auch für die US-Ambitionen in der Region?
Ende des Syrien-Kriegs in Sicht? – Russland vermittelt zwischen Damaskus und AnkaraQuelle: AFP © Sputnik

Von Dr. Karin Kneissl

Ende der 1990er Jahre, als Baschar al-Assad nach dem Unfalltod des Bruders von seinem Vater Hafiz für das Präsidentenamt vorbereitet wurde, setzte der studierte Augenarzt auf einen diplomatischen Neubeginn mit der Türkei. Der Rauswurf der kurdischen Arbeiterpartei und Terrorgruppe PKK im Herbst 1998, die in Syrien ihr Hauptquartier hatte, führte zur Verhaftung des Kurdenführers Abdullah Öcalan. Seine Entführung durch ein israelisches Kommando aus einem ostafrikanischen Staat, wohin er geflüchtet war, liest sich wie ein Thriller. Damals begann eine umfassende Annäherung zwischen Ankara und Damaskus. Die türkische Seite wusste diese Schritte der syrischen Regierung sehr zu schätzen.

Der türkische Langzeitherrscher Recep Tayyip Erdoğan reiste damals mehrfach nach Damaskus und betrieb erfolgreich seine "Null-Problem-Nachbarschaftspolitik", die der spätere Premierminister Ahmet Davutoğlu konzipiert hatte. Der Ausbruch der Unruhen im März 2011, die binnen eines Jahres in einen brutalen Stellvertreterkrieg sämtlicher Regionalmächte und ihrer Söldner auf dem syrischen Staatsgebiet mündeten, rissen aber einen tiefen Graben zwischen Assad und Erdoğan auf.

Die türkische Außenpolitik verrannte sich in den nachfolgenden Jahren bis heute in militärische Offensiven ohne Ergebnis. Erdoğan stellte regelmäßig Gebietsansprüche, die unter anderem die syrische Großstadt Aleppo umfassten, die 2012 zwischen den Fronten von diversen Islamisten, der syrischen Armee und türkisch unterstützten Verbänden aufgerieben wurde. Millionen Syrer flüchteten in die Türkei. Ihre Präsenz im Niedriglohnsektor belastet den Arbeitsmarkt neben vielen anderen gesellschaftlichen Zwisten. Im Herbst 2001 kam Erdoğan an die Macht, zunächst als Premier, später als Präsident. Zum einen gelang der Türkei eine erfolgreiche Außen- und Außenhandelspolitik, ob in Zentralasien oder auf dem afrikanischen Kontinent, zum anderen brach aber mit dem Gemetzel in Syrien auch viel von der türkischen Regionalpolitik zusammen. Die Handelsrouten Richtung arabische Golfstaaten waren unterbrochen. Die einst florierende Exportwirtschaft litt darunter wie der Tourismus unter Terroranschlägen und Pandemie. Im Juni wählt nun die Türkei. Die AKP ist seit 22 Jahren an der Macht, Erdoğan hat den Staat in eine Präsidialrepublik umgestaltet und belastet mit seinen Interventionen in der Zentralbank die bereits galoppierende Inflation. Unsicherheit überschattet vieles.

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Die Wahlen könnten für Erdoğan nicht nur wegen der wachsenden sozialen und wirtschaftlichen Probleme zum Hindernislauf werden. Zu den großen Wahlgeschenken gehören Pensionsthemen und finanzielle Zuwendungen an die vielen verschuldeten Haushalte. Eine Befriedung der syrischen Front, an der sich mehrere NATO-Armeen gegenüberstehen und die von Ankara stets als Versteck kurdischer Kämpfer gesehen und entsprechend bombardiert wird, wäre ein wichtiger Triumph von Erdoğan. Aus dem syrischen Dilemma herauszukommen, ist daher eine Priorität.

Während Erdoğan als der wesentliche Vermittler zwischen Moskau und Kiew auftritt und hierbei auch im März bereits einem Waffenstillstand nahe war, wenn London diesen nicht torpediert hätte, wirkt Präsident Wladimir Putin im Dreieck Ankara, Damaskus und arabische Golfstaaten. Es handelt sich um einen Verhandlungsmarathon, der sich bereits seit Jahren hinzieht. Zur Erinnerung: Im Herbst 2015 intervenierten die russischen Streitkräfte auf Einladung der syrischen Regierung. Damals erzielte die Terrormiliz IS große Erfolge und kontrollierte weite Teile Syriens und des Irak. Einem möglichen Marsch auf die alawitische Stadt Latakia, wo sich Millionen Binnenflüchtlinge aufhielten, kam die syrische Armee zuvor. Der IS wurde weitgehend zurückgedrängt.

Die bilateralen Beziehungen zwischen der Türkei und Russland sind ambivalent – und dies bereits seit Jahrhunderten, wobei der Status von Konstantinopel immer wieder eine Rolle spielte. Die Armeen der beiden Staaten stehen einander als Kriegsparteien nicht nur in Syrien, sondern auch in Libyen gegenüber. Wie es immer wieder gelingt, Interessen zum Konvergieren zu bringen, ist ein diplomatisches Meisterstück.

Es ist nun auch die russische Diplomatie, die die tiefen Gräben des Misstrauens zwischen Damaskus und Ankara zu überwindet trachtet. Erdoğan hatte seinerseits zwar die Ukraine mit Waffen beliefert, aber beteiligt sich nicht an den Russland-Sanktionen und bietet dem US-Druck die Stirn. Russland und die Türkei arbeiten im Rahmen des Astana-Formats bereits seit Jahren regelmäßig in der Syrien-Frage zusammen. Die Unterhändler kennen einander. In diesen Tagen wechseln die Gespräche von der Beamtenebene auf jene der Außenminister. Wenn alles unter Dach und Fach ist, dann soll es zum direkten Treffen zwischen Erdoğan und Assad möglicherweise in Moskau kommen.

Für Erdoğan ist dieses Jahr von besonderer Bedeutung, denn Türkiye, wie der offizielle Landesname nun lautet, feiert den 100. Geburtstag der Gründung der Republik. Für Erdoğan geht es um viel mehr als ein Jubiläum, es geht um seinen zukünftigen Platz in den Geschichtsbüchern, möglicherweise auf gleicher historischer Augenhöhe mit dem Republikgründer Kemal Atatürk. Noch ist aber vieles Baustelle, aber Erdoğan wird Brücken, Bahnhöfe und Museen eröffnen. Er ist omnipräsent und wirkt seinerseits als der wesentliche Vermittler im Ukraine-Krieg, ob es um Gefangenenaustausch oder Weizenlieferungen geht.

Die beiden Staatschefs ergänzen einander in ihren Vermittlungsmissionen. Für die Türkei sind zudem die russischen Energielieferungen, die die Rolle der Türkei als Hub für Erdgas und Erdöl verstärken, wichtig. Europäische Kunden wiederum erwerben von der Türkei russische Energie.

Die USA und der Syrien-Krieg

Für Washington wie für den gesamten Westen reduziert sich die Syrien-Politik auf einen knappen Satz: Assad muss gehen.

Derart lässt sich weder ein komplexer Krieg noch das Elend der Menschen lösen. In meiner Zeit als Außenministerin engagierte ich mich für ein ziviles Entminungsprogramm in Syrien, um Flüchtlinge aus den Nachbarstaaten wieder in ihre Heimatdörfer zu bringen und die Landwirtschaft neu aufzubauen. Damit stieß ich aber auf taube Ohren unter meinen EU-Kollegen. Denn anstatt auch nur kleine Wiederaufbauprogramme zu ermöglichen, lief diese fragwürdige Strategie auf eine totale Isolation Syriens und ein großes NGO-Business in der Flüchtlingshilfe hinaus. Ob es sich um UN-Organisationen oder andere handelt, es ist für deren Mitarbeiter meist angenehmer, im Libanon Flüchtlinge zu betreuen als in Syrien. Der Wunsch der libanesischen Regierungen nach Repatriierung der syrischen Flüchtlinge wird von der UNO, aber vor allem der USA und der EU ignoriert.

Wenn es zu einem Ausgleich zwischen Ankara und Damaskus kommen sollte, dann wird sich auch für den Westen einiges drehen müssen. Die Vereinigten Arabischen Emirate, die auch lange Milizen aller Art gegen Assad unterstützten, sind bereits in Vorleistung gegangen und normalisieren ihre Beziehungen mit Syrien.

Für die Bodentruppen der USA und all die Spezialkräfte diverser EU-Staaten, deren Mission vor allem ist, die jeweils eigenen Staatsbürger, die sich der IS-Terrormiliz in den Jahren 2014/15 angeschlossen hatten, zu "neutralisieren" und damit ihre Rückkehr in ihre Herkunftsländer zu verhindern, könnte die Lage im Falle eines Ausgleichs zwischen der Türkei und Syrien in der Isolation enden.

Die Dinge sind noch im Fluss und "spoilers", also Spielverderber im gefährlichsten Sinne dieses Wortes, sind am Werk. Die Falschmeldung, dass die Türkei Streumunition in die Ukraine liefert, fällt in diese Rubrik. Aus den Entwicklungen auf dem syrischen Schlachtfeld sind auch Lektionen für den noch größeren Stellvertreterkrieg auf dem ukrainischen Schlachtfeld zu ziehen. Parallelen gibt es viele, von den EU-Söldnern/IS-Terroristen angefangen bis hin zu dem Mantra "Assad must go". Analogien hinken bekanntlich.

Vorerst scheinen die Kriegsgegner im Nahen Osten aufeinander zuzugehen. Die Gesellschaften dieser Region mussten vor allem über die letzten Jahrzehnte viel erdulden, die Staaten sind nicht zerbrochen. Städte wie Damaskus und Istanbul atmen etwas Ewiges, die Geschichte geht weiter und die Menschen werden wieder aufbauen, was der Hass vernichtet hat.

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